Doch gibt es ein Ereignis, dass meine Schwester und mich Jahre später noch prägte.
Am 20. August 1980 starb mein japanischer Großvater an Krebs.
Viel weiß ich nicht über das Leben meines Opas und die Informationen von meiner Mutter sind spärlich.
Er kam am 2. April 1914 zur Welt. Nach der Schule ging er nach Taiwan, das 1895 - 1945 zu Japan gehörte, um dort Medizin zu studieren. Er arbeitete dann dort auch als Arzt.
Während eines Urlaubs in Japan lernte er meine Oma kennen. Es war eine Liebesheirat.
Sie kam mit ihm nach Taiwan, wo 1942 meine Mutter zur Welt kam.
Dann kam der Krieg und ihnen wurde alles genommen. Sogar der Arzttitel wurde nicht anerkannt.
Mein Opa gab nicht auf und legte in Japan nochmals die Prüfung ab.
Meine Großeltern zogen nach Saitama, wo sie erfolgreich eine Arztpraxis (Gynäkologie) gründeten.
Es gab sogar Räume mit Betten, wo die Frauen entbinden konnten. Meine Oma half ihm bei der Arbeit.
Meine Oma war damals die erste Frau, die dort in der Gegend den Führerschein machte.
Mein Opa schaute sich abends gerne im Fernsehen neben Sumo die Serie Mito Kômon an. Sie wurde seit 1969 im Fernsehen ausgestrahlt. Ein Abgesandter des Kaisers hilft undercover mit seinem Gefolge den Bedürftigen gegen Bösewichte. So etwas liebe ich ja.
Es gab zwar viele Schwertkämpfe, aber ohne Blutvergießen, so dass ich auch mitschauen durfte. Da war ich immer ganz begeistert.
Spannend war es auch, mit anzusehen, wie mein Opa vom getrockneten Bonito mit dem Messer Späne für Katsuobushi abhobelte.
Als Arzt hatte mein Opa eine hohe Stellung inne, und es gab eine große Bestattungszeremonie.
Ich will hier nur das wiedergeben, an das ich mich erinnere. Dies ist keine Abhandlung über Bestattungen.
Wir fuhren zu einer großen Anlage. Sie sah edel aus. Ein hoher Schornstein erinnerte jedoch einen daran, wo man war. Ich sah viele Leute. Auch Leute aus der Kirche, wo mein Vater arbeitete und auch der Mann, der im Kindergottesdienst die älteren Kinder wie mich betreute.
Meine Mutter hatte uns angewiesen, dass wir Kinder etwas bereithalten, dass wir Ojîchan (Opa auf japanisch) mit in seinen Sarg legen.
Ich entschied mich für ein Foto.
Da war er. Der Sarg. Aufgebahrt. Die Menschen standen an und auch wir stellten uns an, um einen letzten Blick auf ihn zu werfen und das Mitgebrachte in den Sarg zu legen.
Ich sah meine erste Leiche (und bisher einzige). Er sah friedlich aus in seinem weißen Totengewand.
Ich versuchte, die Fassung zu bewahren. Bloß nicht weinen und sich eine Blöße geben. Vor allem nicht vor meinem Gruppenleiter. Irgendwie war mir das peinlich.
Schließlich wurde der Sarg geschlossen und weggebracht. Warten war angesagt. Was passiert nun? Wie geht es weiter? Da sah ich, wie aus dem Schornstein Rauch aufstieg und ich wusste, was dies zu bedeuten hatte.
In dem Moment, als ich den Rauch sah, war es mit meiner Beherrschung vorbei und die Tränen flossen.
Alleine schon die Erinnerung daran, lässt meine Brust verkrampfen und ich muss beim Schreiben mehrmals blinzeln und schlucken.
Nach einer Weile, der Schornstein qualmte nicht mehr, wurden die nahen Angehörigen in einen Raum gebeten. Meine Oma, meine Mutter, meine Tante waren dabei und noch zwei, drei andere, an die ich mich nicht erinnere. Meine Schwester und ich wurden als alt genug befunden, der Zeremonie als Zuschauer teilzuwohnen.
Es war ein weißer steriler Raum. Ein Mann in einem Kittel öffnete eine Luke in der Wand und zog eine Metallbahre heraus. Auf der waren Asche und Knochenstücke zu sehen.
Die Urne wurde bereitgestellt und die Erwachsenen bekamen lange Stäbchen, mit denen sie gemeinsam die großen Knochenstücke herausfischten und in die Urne fallen ließen.
Auch der Mann im Kittel war nicht untätig und fischte etwas verstohlen aus der Asche.
Meine Mutter bemerkte das auch und wusste gleich, was Sache war. So rief sie, Vaters Goldzähne.
Da hatte der Mann im Kittel keine Chance mehr.
Die Beisetzung der Urne auf dem Friedhof geschah ohne uns.
Für uns Kinder war das ein komisches Gefühl, wie die Erwachsenen die Knochen und Zähne aus der Asche fischten. Meine Schwester, die damals neun war, hat das alles nicht wirklich verkraftet.
Ich habe es besser weggesteckt, dachte ich. Doch als ich letztes Jahr den Film "Hanami" sah, wo es auch so eine Szene gibt, bekam ich plötzlich einen Weinanfall und es schüttelte mich regelrecht.
Mittlerweile habe ich schon an mehreren Beerdigungen von Verwandten teilgenommen, und auch da flossen die Tränen. Aber keine Bestattung hat mich so aufgerüttelt, wie die meines japanischen Opas.
Einen Monat später erfolgte der Grabbesuch. Wir begossen den Stein mit Wasser und legten Blumen nieder.
Dieses Foto habe ich gefunden. Das muss bei uns zu Hause sein, denn das Klavier links erkenne ich.
In Gedenken
Das ist ein toller Beitrag über einen guten Menschen, der einmal gelebt hat.
AntwortenLöschenDein Opa war eine starke Persönlichkeit und so stelle ich mir auch deine Oma vor (immerhin: Gleiches und Gleiches gesellt sich gern). Ich finde es toll, dass er als Arzt gearbeitet hat und selbst nachdem man ihm jahrelanges Studieren aberkannt hatte, gab er nicht auf daran festzuhalten und legte wieder die Prüfung ab. Ich hoffe, ich kann auch einmal so willensstark sein wenn es darauf ankommt.
Dein Opa war bestimmt ein guter Arzt - ich kann mir kaum vorstellen dass er unbedingt des Geldes wegen diesen Beruf gewählt hat (so wie die meisten heute. Wenn ich an der Uni die Vollidioten sehe, die sich mal später mit "Arzt" betiteln dürfen, nur weil sie ein paar Prüfungen positiv bestanden haben, kriege ich Angst. Deren Kompetenz stelle ich stark infrage!).
Ich finde die Bilder sehr interessant die du uns zeigst. Immerhin sind es private Bilder und es ist schön, dass du sie teilst! Ich finde es immer wieder wunderbar, wenn ich Bilder aus Japan sehe die Japan so zeigen wie es ist und nicht als einen Zirkus voller Kuriositäten, an dem der Westen seine "Normalität" bemisst und bestätigt.
Ich habe selber fast gar keine Fotos aus meiner Kindheit, weil die meinen Eltern nicht unbedingt wichtig war und ich zu klein um zu erkennen, dass sie wichtig sein würde. Deswegen sehe ich mir ungemein gerne Familienfotos anderer Leute an. Sie bringen irgendwie eine Ruhe mit sich, warum auch immer.
Danke schön für deinen netten Kommentar.
LöschenDeiner Erzählung nach muss dein Großvater wirklich ein toller Mensch gewesen sein, und du scheinst auch sehr an ihm gehangen zu haben.
AntwortenLöschenDa bekommt man selbst heute noch Respekt vor ihm und seiner Lebensgeschichte.
Aber es ist auch interessant zu erfahren wie so eine Bestattungszeremonie abläuft. Ich glaub, ich hätte das damals noch schlechter weggesteckt. Kann für ein Kind doch ziemlich heftig sein.
Aber es ist doch gut, dass du eine schöne wenn auch kurze Zeit mit deinem Großvater hattest, ich habe so etwas überhaupt nicht...
Oh das ist ein schöner Beitrag gewesen...*schluchz*. Erinnert mich immer wieder daran, dass man jede sekunde mit seinen Großeltern nutzen sollte wenn man die Chance dazu hat.
AntwortenLöschenDas mit der Zeremonie finde ich sagen wir mal "krass"...ich glaube da gehören Kinder drauf vorbereitet...was mich wundert ist, dass das so schnell ging mit der verbrennung...ich dachte immer der Vorgang dauert länger...
Ich finde es übrigens völlig normal, dass du auch nach so vielen Jahren noch berührt bist, wenn du an die Situation denkst. Ich kann auch immer ncoh nach inzwischen 8 Jahren das Heulen anfangen wenn ich an meinen Opa und an seine Einsenungsfeier denke.
*drück*
Auch dir ein dickes Danke.
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